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Andrei Iwanowitsch

Andrei Iwanowitsch Moiseenko wurde im Jahr 1926 geboren, Monat und Tag sind nicht bekannt. Als er nach dem zweiten Weltkrieg in die sowjetische Armee eingezogen wurde, legte man den 1. Mai fest, seitdem ist sein offizielles Geburtsdatum der 1. Mai 1926.

Andrei Iwanowitsch ist einer der letzten Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald.
Dieses Jahr feierte er seinen 93. Geburtstag.

Andrei Iwanowitsch wurde in die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik hineingeboren. Diese war 1919 aus der Volksrepublik Ukraine hervorgegangen. 1922 wurde sie Teil der Sowjetunion, während die Westukrainische Volksrepublik 1921 mit dem Vertrag von Riga an Polen abgetreten wurde.

Andrei's Wedding

Sohn
Foto: Privatarchiv

Im kleinen Dorf Budjonnowka in der Oblast Tsсhernihiw, ca. 150 km nördlich von Kiew nahe der heutigen weissrussischen Grenze, kam Andrei als ältestes von vier Kinder in einfachen Verhältnissen zur Welt. Andrei’s Eltern verdienten ihren Lebensunterhalt in der Dorfkolchose. Gemeinsam mit den Kindern bewohnten sie ein Holzhaus im Dorf. Als Andrei sechs Jahre alt war starb seine Mutter an Typhus. Sein Vater war nun mit den vier Kindern alleine. Um die Familie zu ernähren war der Vater gezwungen noch härter zu arbeiten, früh lernte der kleine Andrei deshalb Verantwortung für sich und seine jüngeren Geschwister zu übernehmen. Nach einem Jahr heiratete der Vater erneut, aus dieser Ehe gingen noch zwei Halbbrüder Andrei’s hervor. 1941 wurde der Vater im Alter von 44 Jahren in einer zweiten Einzugswelle zum Dienst an die Front gezwungen. Er starb an der Front, da war Andrei 15 Jahre alt und hatte gerade die siebte Klasse an der Dorfschule abgeschlossen. Seine Stiefmutter verblieb den Kindern als einzige erwachsene Bezugsperson. Die rasch heranrückende Front zerstörte das harte, aber vormals geregelte Dorfleben. Bei einem der heftigen deutschen Angriffe wollte die Stiefmutter, die die Kinder im Keller versteckt hatte, hinaus zum Nachbarhaus. Auf halbem Wege dorthin wurde sie durch deutsches Maschinengewehrfeuer tödlich verletzt. Sie verstarb unmittelbar vor Ort. Nach dem jähen Tod der Stiefmutter waren die Kinder plötzlich ganz auf sich allein gestellt. Bald danach geriet die gesamte Gegend um Tschernihiw unter deutsche Besatzung. Andrei war nun als Ältester für das Überleben seiner Geschwister verantwortlich. Notgedrungen unternahm er gefährliche Streifzüge, um in der Gegend bei Bauern um Essen zu betteln. Eines Tages wurde er dabei von Soldaten aufgegriffen und verhört. Sie nutzen seine verzweifelte Lage aus und versprachen ihm, dass wenn er mit Ihnen mitginge, er Arbeit bekäme und seine Geschwister durchbringen könne. Statt der erwarteten Hilfe wurde er mit anderen Jugendlichen und Erwachsenen zum nächstgelegenen Bahnhof gebracht, in Waggons gepfercht, und mit ihnem ungekanntem Ziel abtransportiert. Nach tagelanger, beschwerlicher Fahrt erreichte der Zug Leipzig, die Endstation. In Leipzig wurden sie alle zu einem Ort gebracht, an dem Bauern aus der Gegend zusammenkamen und wie bei einer Art Fleischbeschau die gesündesten und fittesten Burschen auswählten um sie zur Zwangsarbeit auf ihre Höfe mitzunehmen. Die Verbliebenen, unter ihnen auch Andrei, kamen in ein Übergangslager. Das Lager war an die Firma Hasag  (Hugo-Schneider AG) angeschlossen, alle Insassen des Lagers wurden dort als Zwangsarbeiter eingesetzt.

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Werksgelände der Munitionsfabrik Hasag,
Leipzig 1931
Quelle: Sammlung Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig

Die Firma Hasag in Leipzig war seit 1934 offizieller Rüstungsbetrieb der Wehrmacht und lieferte vor allem Munition. 1944 erhielt die Hasag durch den Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion Albert Speer die Sondervollmacht „Hochlauf Panzerfaust“. Damit war der Konzern alleiniger Hersteller dieser Waffe in Deutschland und konnte seine Werke weiter ausbauen. Für Andrei begann hier seine zwei Jahre dauernde Zwangsarbeit. Anfangs wurde er in der Produktion eingesetzt und ölte Maschinenteile, später ergab sich die Möglichkeit dem Fokus der Aufseher ein wenig zu entkommen und in das Ersatzteillager zu wechseln. Hier gelang es ihm sich einigermaßen zu arrangieren, dass er in der Zwischenzeit  etwas Deutsch gelernt hatte kam ihm jetzt zupass. Mit einem der älteren deutschen Arbeiter freundete er sich an, und dieser steckte ihm ab und an etwas Brot und Schmalz zu. Die Ruhe allerdings war trügerisch. Bald schon wurde Andrei verdächtigt, Anführer einer Gruppe junger Aufständischer zu sein. In der Fabrik gab es wiederholt Befragungen, vor allem jüngere Zwangsarbeiter waren davon betroffen. Früh begriff Andrei wie die Verhörmaschine funktionierte. Fingierte Anschuldigungen, sinnverdrehte Übersetzungen, und die Tricks der Geheimpolizei. Auf die Gruppenbefragungen folgten Einzelverhöre. Eines dieser Verhöre ist Andrei bis heute gut im Gedächtnis geblieben. Wie er mit einem Gestapo Mann am Tisch im Verhörraum sitzt, ein anderer hinter ihm an der Tür, wie ersterer aufsteht, einige Schritte in Richtung Fenster macht, seine Pistole auf dem Tisch vor Andrei liegen lässt, wie Andrei seinen inneren Drang zur Waffe zu greifen unterdrücken kann weil der den Hinterhalt begreift. 

Nach diesem Ereignis wurde Andrei in ein Gestapo Gefängnis in Leipzig gesteckt. Tagsüber wurde er zu Arbeitseinsätzen auf Bauernhöfe gebracht, abends wieder zurück ins Gefängnis. So vergingen ungefährt zwei Monate, ohne dass Andrei erfuhr warum er im Gefängnis gelandet war und wie es mit ihm weitergehen würde. Schließlich wurde er von Leipzig in ein Gefängnis nach Halle verlegt. Dort verblieb er nur einige wenige Tage. Von Halle aus wurde er ohne jegliche Anschuldigungen oder Erklärungen in ein Konzentrationslager deportiert.

Er war nun in die Hölle von Buchenwald geraten. Ein Jahr, von Mai 1944 bis April 1945,
sollte sie ihn im Würgegriff halten. Aus Andrei Iwanowitsch wurde Häftling Nummer 19852.

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Alexander Bytschok und Andrei Iwanowitsch am
70. Jahrestag der Befreiung,
Buchenwald im April 2015
Pressefoto: Chicago Tribune

Die Nummer 19852 war ursprünglich die eines Häftlings der wie Andrei ebenfalls aus der Ukraine kam, aus der Oblast Poltava. Sie ging auf Andrei über als der ukrainische Häftling getötet worden war. Im Mai 1944 waren die fortlaufenden Nummern schon bei 77.000 angelangt. Für Andrei ging es nach der Ankunft sofort in das Kleine Lager in Buchenwald, in eine Baracke für rund 1000 Menschen, in der sich 10 Menschen ein Bett teilen mussten. Der Tod war hier allgegenwärtig, die Tag und Nacht rauchenden Schlote des Krematoriums beständig in Sichtweite. Bis Herbst 1944 musste Andrei im Steinbruch arbeiten. Der Steinbruch, ca. 1km vom Stammlager entfernt, war eines der gefürchtetsten Arbeitsorte. Hier wurden viele Häftlinge durch den hemmungslosen Terror der SS zu Grunde gerichtet. Im Herbst 1944 kam Andrei ins Außenlager Wansleben. Über 2.000 Häftlinge arbeiteten hier in unterirdischen Hallen in der Produktion von Granatzündern, Flugzeugmotoren und Teilen der V1 und V2 Raketen. Andrei arbeitete in Wansleben bis zur Befreiung des Lagers.

Am 12. April 1945 zwang die SS die Häftlinge ob der heranrückenden US-amerikanischen Truppen auf einen Todesmarsch in Richtung Dessau. Nach zwei Tagen Marsch und vielen Toten, circa eineinhalb Kilometer von einem von der SS ausgewählten Erschießungsort entfernt, wurden sie schließlich von der 104. US-Infanteriedivision befreit. Es war der 14. April 1945. Das Konzentrationslager Buchenwald war bereits am 11. April von der 3. US-Armee befreit worden. Nach der Befreiung folgten Andrei und einige hundert andere Überlebende des Lagers Wansleben den Amerikanern zu Fuß in die nächstgelegene Stadt. Spätestens seit der Jalta Konferenz im Februar 1945 stand fest, dass nach einer Kapitulation Deutschlands Thüringen zur Sowjetischen Besatzungszone gehören sollte. Der Besatzungswechsel wurde nach einem Briefwechsel zwischen Truman und Stalin am 2. und 3. Juli 1945 vollzogen. Die Amerikaner, um die mit dem Besatzungswechsel verbundenen Gefahren für die Befreiten wissend, empfohlen den ehemaligen Häftlingen sich Richtung Westen außer Landes zu bringen. Viele folgten diesem Rat. Die Übriggebliebenen wurden der Sowjetmacht überstellt, unter ihnen auch Andrei Iwanowitsch. Von den sowjetischen Truppen wurden sie erneut rigorosen Verhören unterzogen. Im Zuge dessen wurde Andrei für volljährig erklärt und kam sofort in die Armee. Als offizieller Dienstantritt in die Rote Armee ist der 05.05.1945 vermerkt. Viele andere Überlebende wurden als Kollaborateure gebrandmarkt und in rasch umfunktionierte ehemalige Konzentrationslager in der Besatzungszone gesperrt oder unmittelbar nach Sibirien deportiert.

Andrei hingegen wurde einer Garnison in der Stadt Babrujsk, in der Belarussischen Sozialistischen Sowjetrepublik im heutigen Weissrussland, zugeteilt. Im Sommer 1945 machte er sich mit einer Armeekolonne auf einen 1.400km langen Fußmarsch bis dorthin. In Babrujsk diente er als Fahrer bis 1947. Im Sommer 1947 kam es zu einer Neuordnung der Divisionen, Andrei Iwanowitsch wurde der 120. Gardeeinheit in Minsk zugeteilt. In Minsk diente er bis November 1950. Nach seinem Ausscheiden aus der Armee erhielt er die Erlaubnis seinen Wohnsitz frei zu wählen. Da er keine Familie mehr hatte, entschied er sich in Minsk zu bleiben und suchte Arbeit. Die ersten Jahre arbeitete er in einem großen Baukombinat, parallel dazu holte er seine Schulausbildung nach und fing danach ein Abendstudium an. Das Studium beendete er 1960 und fand gleichzeitig einen neuen Job als Zeichner im Konstruktionsbüro eines großen Maschinenherstellers. Er war dort 38 Jahre bis zu seiner Rente tätig, zuletzt als Abteilungsleiter innerhalb des Konstruktionsbüros.    

Andrei's Wedding

Trauzeugen, Minsk 1952
Foto: Privatarchiv

Im Sommer 1952 traf Andrei seine große Liebe. Nach drei Monaten heirateten sie. Sie bekamen zwei Söhne. In den 1980er Jahren verstarb seine Frau tragisch, kurz darauf verlor Andrei auch einen seiner Söhne. Bis zum heutigen Tag lebt Andrei Iwanowitsch in Minsk.